Hubert Schölnast
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Christbaumkerzen |
Passiert ist diese Geschichte am heiligen Abend des Jahres 1973, und sie nahm ungefähr um neun Uhr vormittags ihren Anfang. Es war das erste Jahr, an dem ich mithelfen durfte, den Baum zu schmücken. In den Jahren davor war das die alleinige Aufgabe meiner Eltern gewesen, die im Arbeitszimmer meines Vaters den Baum geschmückt hatten, um dem Christkind ein wenig Arbeit abzunehmen. Mir war schon zwei Jahre zuvor eine Tannennadelspur aufgefallen, die jedes Jahr vom Baum, der im Wohnzimmer stand, durch den Gang bis zum Arbeitszimmer geführt hat. Der Umstand, dass der Glaseinsatz dieser Tür ein paar Tage vor Weihnachten immer mit einem Leintuch verhangen war, so dass es mir nicht möglich war, hindurch zu sehen, ließ mich schon lange vermuten, dass das kleine Christkind den schweren Baum nicht allein hergebracht hat.
An jenem 24. Dezember - es war ein Montag, und mein Vater hatte noch im Büro zu arbeiten - fragte meine Mutter uns Kinder, also meine Schwester und mich, ob wir ihr nicht helfen wollten, den Baum für das große Fest zu schmücken. Was für eine Frage! Und ob wir wollten! Wir Kinder durften das tun, was sonst nur das Christkind tat: Wir durften zum ersten mal den Baum schmücken!
In der Schule hatten wir schon Strohsterne gebastelt, die zwar total schief waren, und teilweise sogar auseinander fielen, aber die Eltern hielten sie trotzdem für viel schöner als die gekauften Sterne, deren Spitzen kunstvoll zurechtgeschnitten waren, und die wie große goldene Schneeflocken aussahen. Ich zweifelte zwar schon am Geschmack meiner Eltern, freute mich aber trotzdem, dass sie meine Sterne für schöner als die gekauften hielten.
Auch bunte Glaskugeln galt es aufzuhängen, aber meine Mutter lies sich nicht dazu überreden, uns Kinder das machen zu lassen. So stürzten wir uns eben auf die Strohsterne und auf die vielen Süßigkeiten, mit denen wir den Baum schmücken sollten.
Wir hätten diese Süßigkeiten eigentlich ja erst essen dürfen, nachdem sie aufgehängt waren, aber, als die Mutter gerade nicht hersah, haben wir uns ab und zu mal eine Ausnahme erlaubt.
Doch plötzlich überkam meine Mutter eine große Unruhe. Sie begann in der Hinterlassenschaft des Christkinds, in den verstaubten Schuhschachteln, in denen sich der Christbaumschmuck befand, herumzusuchen. Zuerst räumte sie nur Glaskugeln in einer Schachtel von einer Seite auf die andere, doch dann begann sie Sternspritzer und Strohsterne von Schachtel zu Schachtel zu räumen. Eine Kette aus Strohringen kam dabei zum Vorschein, die allerdings schon an zwei Stellen auseinander gebrochen war. Schließlich leerte sie den Inhalt aller Schachteln auf dem Tisch aus.
Ihre Vorahnung wurde zur Gewissheit: Wir hatten keine Christbaumkerzen!
Nur winzige abgebrannte Stummel vom vorigen Jahr waren da. Ob da das Christkind zu uns finden würde, wenn wir solche kümmerlichen Überreste auf den Baum steckten?
Meine Mutter war ratlos. Der Vater, der ein Auto hatte, war im Büro, und würde erst am Nachmittag heimkommen. Sie hatte versucht ihn anzurufen, aber sie erreichte ihn nicht. Vermutlich war er gerade im Außendienst unterwegs. Mit dem Bus in die Stadt fahren konnte sie nicht, wer würde sonst das Mittagessen kochen? Also blieb nur die Möglichkeit, mich oder meine Schwester loszuschicken um Kerzen zu kaufen.
Die Wahl fiel auf mich. Schließlich war ich schon groß! Ich war schon acht! Meine Schwester war erst sieben, also viel zu klein. Na gut, so richtig groß war ich auch nicht, aber immerhin größer als meine Schwester, und das reichte aus als Qualifikation für die große Kerzen-Expedition.
Mein Elternhaus steht ein paar Kilometer außerhalb der Hauptstadt. Heute ist diese Gegend schon relativ dicht besiedelt, aber zu jener Zeit war das noch eine richtig ländliche Gegend. So konnten wir beispielsweise an dem Hang, an dem unser Haus stand, prima Schlittenfahren. Fast 5 Minuten lang im Höllentempo hinunterrodeln, und dann eine Stunde lang den Schlitten wieder hinaufziehen, oder noch länger, falls die Schneebälle wieder mal tief flogen.
Heute stehen auf der alten Rodelbahn acht neue Häuser. Heute wäre es auch kein Problem, Kerzen zu kaufen. Das nächste Kaufhaus ist jetzt nur 2 Kilometer entfernt, also zu Fuß in einer halben Stunde zu erreichen. Damals musste ich aber bis zu der Ortschaft gehen, in der auch meine Schule lag. Unter normalen Umständen, also wenn kein Schnee lag, dauerte das etwa zweieinhalb Sunden für den Hinweg, und ebenso lange für den Rückweg. Damals war diese Ortschaft nicht einmal ein richtiger Ort. Das Gemeindeamt, die Volksschule, das kleine Häuschen, in dem der Schulwart mit seiner Frau gewohnt hat, eine kleine Kapelle, die damals gerade zu einer Kirche im hässlichen 70er-Jahre-Stil umgebaut wurde, und der »Köhldorfer«, ein Gasthaus mit angeschlossenem Mini-Kaufhaus, bildeten die ganze Ortschaft. Umgeben war diese Siedlung von einem immergrünen dichten Nadelwald. Anzahl der Einwohner: Vier! - Der Herr Schulwart mit seiner Frau, die Frau Köhldorfer und der Herr Köhldorfer.
Man erreichte den Ort für gewöhnlich mit dem Autobus. Der fuhr um 7 Uhr in der Stadt weg und war um 7:24 Uhr beim »Tischlerwirt«. Das ist jene Haltestelle, bei der ich einsteigen musste. Bis zur Schule fuhr man eine knappe halbe Stunde lang. In die andere Richtung fuhr der Bus kurz nach 1 Uhr mittags bei der Schule weg, und brachte die Kinder sicher wieder nach Hause. - Einmal am Tag hin, einmal zurück. Öfter fuhr der Bus auf dieser Strecke damals nicht, und fährt auch heute nicht.
Wenn man den Bus versäumte, musste man zu Fuß gehen. Es gab da aber wenigstens eine Abkürzung: Quer über die Äcker, durch einen Wald, vorbei am alten Wetterturm, und dann noch ein Kilometer hinauf auf den Hügel, auf dem, gleich neben meiner Volksschule, das Kaufhaus stand.
Und genau diese Abkürzung war es, die ich an jenem Weihnachtstag gehen sollte, um Kerzen zu holen.
Meine Mutter kramte aus ihrer Geldtasche zwei Zwanzig-Schillig-Scheine hervor, und steckte sie in die Tasche meiner dicken knallroten Winterjacke. Ich zog drei Paar Socken an, schlüpfte in meine Gummistiefel, und so stiefelte ich los, um Kerzen für den Christbaum zu kaufen. Die dicken Fäustlinge durften natürlich auch nicht fehlen. An jenem Tag lag fast ein halber Meter Schnee auf den Wiesen und Feldern, und der Weg, den ich nehmen wollte, war seit dem letzten Schneefall teilweise noch unberührt geblieben.
Es war jetzt halb zehn am Vormittag, zwischen zwölf und halb eins würde ich beim Köhldorfer sein um die Kerzen zu kaufen, und müsste dann nur noch auf den Bus warten, um dann damit heimzufahren. Da heute keine Schule war, würde ich für die Fahrt zahlen müssen. Drei Schilling fünfzig kostete die Fahrt, und das sollte sich, zusammen mit dem, was ich für die Kerzen zu zahlen hätte, mit den vierzig Schilling, die mir meine Mutter mitgegeben hatte, leicht ausgehen. Um halb zwei würde ich wieder daheim sein, und gemeinsam mit Mutter und Schwester Mittag essen.
Zuerst ging ich hinunter zur Hauptstraße und schaute brav nach links und rechts, bevor ich sie überquerte, um dann jenem Hohlweg zu folgen, der am Haus von Sonja, einer ganz lieben Mitschülerin, vorbeiführte. Ich versuchte angestrengt durch die Fenster zu blicken um zu sehen, ob sie vielleicht daheim wäre, aber ich konnte niemanden dort sehen. Vielleicht waren sie alle in der Stadt. Vielleicht sind ihnen auch die Kerzen ausgegangen, und sie fuhren gemeinsam mit dem Auto in die Stadt, um dort neue zu kaufen.
Ich ging weiter den Hohlweg entlang, und kam dann beim Heidenbauer hinaus auf das freie Feld. Der Heidenbauer hat uns Kindern im Sommer immer zu trinken gegeben, wenn wir mal »Hierbleiben« mussten, und dadurch den Bus versäumten und zu Fuß heimgehen mussten. Das »Hierbleiben« war eine gefürchtete Strafe für Vergehen gegen die Schulordnung. Man musste ja nicht nur eine Stunde länger in der Schule bleiben, sondern musste dann auch noch zu Fuß nach Hause gehen. Wobei die Frau Lehrerin allerdings bei Regen oder besonders kalten Wintertagen schon das eine oder andere Auge zudrückte.
Vom Heidenbauer ging es weiter über die große weiße Fläche, unter der mehrere Äcker verborgen lagen. Ungefähr in der Mitte dieser Fläche querte ein Bach meinen Weg, über den an einer bestimmten Stelle ein großes Holzbrett lag, um ihn trockenen Fußes überqueren zu können.
Dieses Brett lag nun versteckt unter der dicken Schneedecke. Der ganze Bach war nicht zu sehen, und ich konnte nur hoffen, dass der Bach zugefroren war. Ich war ein Jahr zuvor beim Rodeln in einen anderen Bach eingebrochen, und hatte noch sehr lebhafte Erinnerungen an die unglaubliche Eiseskälte, die mir damals den ganzen Körper erstarren lies.
Aber ich muss den Bach wohl überquert haben, ohne es bemerkt zu haben, denn erst, als ich nur mehr wenige Schritte vom Unger-Wald entfernt war, und mich umdrehte, wurde mir bewusst, dass der Bach nun wohl schon hinter mir liegen musste.
Ich fand auf Anhieb den Eingang in den Wald, der sehr gut an einem Jäger-Hochstand zu erkennen war, und stiefelte fröhlich den Hügel, auf dem der Wald stand, auf der einen Seite hinauf, und auf der anderen wieder hinunter.
Nun hatte ich die Hälfte des Weges hinter mir, und ich freute mich schon auf den Köhldorfer, wo ich die Kerzen kaufen sollte. Der Köhldorfer war das einzige Kaufhaus in der Nähe der Schule. Dabei galt die Bezeichnung »in der Nähe« selbst dann, wenn man als »Nähe« eine Entfernung von zwei Stunden Fußmarsch definierte, und so kam es natürlich, dass alle Kinder ihr Taschengeld in eben dieses Geschäft trugen.
Wurstsemmeln gab es dort um vier und um fünf Schilling, aber fünf Schilling, das war ja das ganze Taschengeld für eine Woche, also blieb mir nichts anderes übrig, als in der Pause die Streichwurstbrote meiner Mutter zu essen. Ich beneidete die reichen Kinder, die sich jeden Tag eine Wurstsemmel kaufen konnten, wenn sie wollten. Ich selbst gab mein Taschengeld lieber für Naschsachen aus. Mein Vater schimpfte zwar immer mit mir, wenn er mich nach dem Verbleib meiner allwöchentlichen fünf Schilling fragte, denn er meinte ich sollte das Geld lieber sparen, doch auch damals waren gewisse Statussymbole wichtig, und jemand, der sich seinen täglichen Schilling-Lutscher nicht leisten konnte, hatte absolut keine Chance, von seinen Mitschülern ernst genommen zu werden.
Aber meine fünf Schilling reichten nicht für die sechs Lutscher, die ich von Montag bis Samstag hätte kaufen müssen um mithalten zu können, also kaufte ich stattdessen auch mal ein paar Stollwerk zu je zehn Groschen, oder einen Fünfzig-Groschen-Lutscher. Denn sich gar nichts beim Köhldorfer leisten zu können, das wäre das Allerletzte gewesen.
Als ich nun am alten Wetterturm vorbei kam, war ich in Gedanken ganz darin versunken, was ich mir beim Köhldorfer alles kaufen könnte um die vierzig Schilling, die ich nun bei mir trug. Vierzig Schilling-Lutscher! Eine unvorstellbare Zahl! Ich war mir sicher, dass die Frau Köhldorfer gar nicht so viele Schilling-Lutscher auf Lager haben würde. Oder zehn Wurstsemmeln um vier Schilling! - Da würden die anderen Kinder Augen machen, wenn ich mir plötzlich zehn Wurstsemmeln auf einmal kaufen würde! Oder Vierhundert Stollwerk! Vierhundert! Das kann sich ja kein Mensch mehr vorstellen! Die wären zusammen sicher so schwer, dass man sie gar nicht alle auf einmal tragen könnte.
Ich war reich! Ich hatte vierzig Schilling eingesteckt! - Aber meine Mitschüler würden nichts davon merken. Trotzdem gaben mir diese vierzig Schilling das Gefühl, als würde mir in diesem Moment die ganze Welt gehören.
Ich griff mit meinen dicken Fäustlingen in die Jackentasche, und zog das viele Geld heraus. Während ich weiterging, betrachtete ich eingehend die beiden Scheine und träumte weiter von den Reichtümern, über die man mit so viel Geld verfügen könnte. Ohne die Handschuhe auszuziehen, stopfte ich die Scheine wieder in die Tasche und ging weiter.
Ich bin in diesem Moment gerade am alten Wetterturm vorbeigegangen, von dem wir in der Schule im Heimatkundeunterricht gelernt hatten. Es war ein etwa 10 Meter hoher gemauerter Turm, der mitten im Nirgendwo stand. Rundherum gab es nur Schnee, und eine schnurgerade Spur, die vom Waldrand genau bis zu meinen Füßen reichte und dort endete.
Nach dem freien Feld rund um den Wetterturm folgte wieder ein kleiner Wald, dann die Viehkoppel eines Bauern, auf der jetzt im Winter aber kein Vieh stand, und dann war man schon auf der Gemeindestraße, nur noch knapp einen Kilometer vom Ziel meiner Wanderschaft entfernt. Man kam an genau jener Stelle auf die Straße, wo jetzt der Kindergarten steht. Dieses Gebäude hat man aber erst drei Jahre nach jenem denkwürdigen Tag errichtet, als ich schon elf Jahre alt war.
Aber ich war gerade acht, und in einer äußerst wichtigen Mission unterwegs.
Ich ging noch der Straße entlang den Hügel hinauf, und war nach wenigen Minuten beim Köhldorfer. Ich stapfte die Stufen zum Eingang hinauf, griff nach der Türschnalle, drückte sie hinunter und zog an der Tür.
Die Tür blieb zu.
Schock!
Der Köhldorfer hat doch nie zu! Wieso jetzt? Ausgerechnet jetzt, wo ich doch so etwas so wichtiges kaufen musste!
Da fiel mir aber ein, dass ja das Gasthaus vielleicht offen haben könnte.
Ich ging also ums Haus herum zur anderen Tür.
Ich hatte Angst, dass auch dort verschlossen sein würde.
Ich griff nach der Klinke.
Die Gasthausklinke war größer als die vom Geschäft. Auch die Tür war anders. Das Geschäft hatte eine Glastür, mit einem breiten Metallrahmen. Die Tür hier beim Gasthaus war aus Holz. Ich drückte die Klinke hinunter, dann versuchte ich die Tür aufzudrücken.
Es ging nicht.
Dann zog ich an der Tür. Vielleicht ging sie ja auch nach außen auf, so wie die Tür vom Geschäft, aber sie bewegte sich keinen Millimeter.
Ich war verzweifelt.
Ich ging zurück zum Geschäft, drückte die Klinke runter und zog daran. Ich versuchte auch zu drücken, obwohl ich genau wusste, dass diese Tür nach außen aufgehen würde, wenn sie sich überhaupt öffnen lies.
Es half alles nichts.
Geschäft und Gasthaus hatten geschlossen.
Ich ging um das ganze Haus herum, und fand hinten die Wohnungstür der Köhldorfers. Aber ich traute mich nicht anzuläuten. Die Frau Köhldorfer war manchmal ziemlich streng, und wenn ich anläuten würde, obwohl sie geschlossen hatten, würde ihr das sicher gar nicht recht sein.
Dann kam der Moment, in dem ich es für eine gute Idee hielt, mich zu vergewissern, ob das Geld noch da war. Ich griff in den Säckel der Jacke, und zog einen Zwanzig-Schilling-Schein hervor. Ich griff nocheinmal hinein, um den zweiten Schein heraus zu holen, fand aber nichts mehr.
Langsam kroch Panik meine Wirbelsäule hinauf.
Ich zog die wärmenden Handschuhe aus. An dicken Wollfäden baumelten die Fäustlinge nun aus den Ärmeln meiner Jacke hervor. Ich griff mit der rechten Hand in die rechte Außentasche meiner knallroten Winterjacke. Es war genau jene Tasche, in die meine Mutter beide Scheine gesteckt hat, und aus der ich den ersten Schein herausgezogen hatte.
Ich fand in der Tasche nur ein paar Brösel, von denen ich nicht wusste, woher die gekommen sein konnten.
Aber kein Geldschein!
Ich hatte nur den einen Schein, den ich in der linken Hand hielt.
Wie ein Eiszapfen, der in der Wirbelsäule langsam nach oben wuchs, stieg in mir Panik auf, und erreichte gerade meinen Nacken.
Ich nahm den Schein in die rechte Hand, und suchte mit der linken Hand in der linken Tasche.
Nichts!
Langsam eroberte der Eiszapfen den Kopf.
Ich machte die Jacke auf und durchsuchte die Innentaschen, dann meine Hosensäckel. Zuerst die vorderen, dann die Gesäßtaschen. Nichts! Tausend eiskalte Finger schob sich zwischen Gehirn und Schädelknochen, und begannen zuzudrücken. Trotz der Kälte begann ich zu schwitzen, und über meine Wangen begannen dicke Tränen zu rollen.
Das Geschäft ist zu, das halbe Geld verloren! Wer sollte mir das glauben? Ich musste doch für jeden Groschen, den ich ausgab, Rechenschaft ablegen! Und die Kerzen? Wo sollte ich jetzt die Kerzen herzaubern?
Aber zuerst musste ich das Geld finden! Denn die Mutter hat mir sicher nicht zum Spaß so viel Geld mitgegeben. Kerzen sind sicher teuer, und um zwanzig Schilling würde ich ganz sicher keine bekommen.
Mir war kalt, und ich zog die Handschuhe wieder an und machte die Jacke zu.
Laut schluchzend ging ich noch ein paar Mal um das Haus der Köhldorfers herum, um den verlorenen Schein zu suchen. Dann ging ich zurück. Immer wieder wischte ich mir mit den Handschuhen die Tränen aus den Augen, die darauf zu Eis gefroren. Schluchzend, und mit gesenktem Kopf folgte ich meiner eigenen Spur, sorgfältig nach dem verlorenen Geldschein Ausschau haltend. Ich ging der Straße entlang den Hügel hinunter, und als ich zur Viehkoppel abgebogen war, bemerkte ich auf der Straße den Autobus, der gerade vorbei fuhr, und in dem ich jetzt sitzen sollte.
Von der Schule bis zum Wald benötigt man normalerweise etwa 30 Minuten. Wenn man dabei aber einen Geldschein sucht, verdoppelt sich diese Zeit. Der Schnee im Wald fiel nicht ganz bis zum Boden herab. Er blieb auf den Ästen der Nadelbäume hängen, und nur selten verirrte sich eine Flocke auf den dunklen Boden. Es war schwierig dort die eigene Spur auszumachen, aber ich konnte nur jenen Weg genommen haben, den ich auch sonst immer ging.
Die Panik hatte sich mittlerweile wieder zurückgezogen, und sich in den Magen verkrochen, wo sie sich allmählich in Hunger verwandelte.
Nach einer weiteren Stunde erreichte ich den Wetterturm.
Ich hatte keine Uhr, aber mir war klar, dass es meinen Eltern schon aufgefallen sein musste, dass ich den Bus versäumt hatte.
Geld verloren, keine Kerzen, und den Bus versäumt! Und alles an einem einzigen Tag!
Ich begann wieder zu heulen, und setzte mich auf die unterste Stufe des Wetterturms.
Es war kalt, ich hatte Hunger, und ich hatte Angst.
Dann sah ich ihn.
Er lag einfach da.
Genau vor meinen Füßen.
Einfach so.
Mein verlorener Zwanziger!
Ich hob ihn auf und sah ihn ungläubig an. Dann wurde es mir klar! Genau hier hatte ich beim Hinweg die beiden Scheine herausgenommen und angesehen. Und beim Einstecken mit den dicken Fäustlingen muss ich den einen daneben gesteckt, und somit hier verloren haben. Ein riesiger Gesteinsbrocken fiel mir vom Herzen!
Aber Kerzen würde ich trotzdem keine mehr heimbringen, denn der Köhldorfer hatte ja geschlossen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mit leeren Händen, aber wenigstem mit dem ganzen Geld, heim zu gehen.
Es muss schon nach vier Uhr gewesen sein als ich schon fast daheim war, den es begann schon zu dämmern. Nur noch 300 Meter trennten mich vom Elternhaus. Ich stand gerade an jener Haltestelle vor dem Tischlerwirt, an der ich immer einstieg, wenn ich zur Schule fuhr.
Und im Wirtshaus brannte Licht! Wenn die jetzt noch Kerzen hätten!
Ich ging hinein, durchfroren, mit roten Augen und hungrig wie ich war, und fragte ängstlich nach Christbaumkerzen.
Die Frau Feiertag, so hieß die Wirtin, sagte, dass sie normalerweise nur Speisen und Getränke verkaufen, aber heute, am heiligen Abend, machte sie eine Ausnahme. Sie ging nach hinten, und kam nach ein paar Minuten mit zwei Schachteln zurück, in denen die schönsten Kerzen waren, die ich je gesehen hatte.
Ich bedankte mich, zahlte, und freudestrahlend lief ich nach Hause.
Meine Eltern hatten sich schon große Sorgen gemacht, und hatten gar nicht mehr an die Kerzen gedacht.
Meine Mutter steckte mich sofort in die heiße Badewanne, und als ich zurück im Wohnzimmer war, brannten am Baum schon die schönsten Kerzen, die je auf einem Christbaum gebrannt hatten.
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Hubert Schölnast
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