Die Traumlenker

Sie kennen das sicherlich in der einen oder anderen Form: Es ist Sonntag Nachmittag, und man findet endlich etwas Ruhe für sich. Man schaut auf die Uhr, es ist halb zwei. Man macht sich je nach persönlicher Präferenz eine Tasse Tee oder Kaffee, schnappt sich endlich das Buch, das man schon seit Wochen lesen wollte, und setzt sich in einen bequemen Sessel. Man nippt entspannt lesend am Heißgetränk, blättert in regelmäßigen Abständen eine Seite nach der anderen um, und zwanzig, höchstens dreißig Minuten später schaut man wieder auf die Uhr.

Halb sieben! Wie konnten in höchstens dreißig Minuten ganze fünf Stunden vergehen?

Entsetzt starren Sie auf das Buch. Sie haben vor sicherlich nicht mehr als dreißig Minuten (also um halb zwei) vorne, auf der ersten Seite zu lesen begonnen und sind jetzt auf Seite 217. Die Neige in der Tasse ist zu einem braunen Ring am Boden eingedorrt. Die Sonne, eben noch hoch am Himmel stehend, ist bereits untergegangen. Alles deutet darauf hin, dass es doch fünf Stunden waren, und Sie gestehen sich ein, dass Sie Ihr Zeitgefühl genarrt haben könnte. Aber insgeheim fragen Sie sich doch: Wer hat Ihnen die viereinhalb Stunden gestohlen, von denen Sie nichts mitbekommen haben?

Oder ein anderes Beispiel: Sie fahren in der Früh mit dem Auto die Strecke, die Sie jeden Tag fahren. Sie steigen ein, starten den Wagen, fahren los, und wenige Augenblicke später sind Sie schon an Ihrem Arbeitsplatz und besprechen mit Kollegen das aktuelle Projekt. So kommt es Ihnen zumindest vor. Sie wissen natürlich genau, dass Sie 40 Minuten unterwegs waren und alle Straßenstücke, Kreuzungen und Ampeln passiert haben, die Sie jeden Tag passieren. Sie wissen auch, dass Sie selbst ihr Auto irgendwo in der Nähe geparkt haben müssen. Ihre Vernunft sagt Ihnen, dass Sie anders ja auch gar nicht ans Ziel hätten kommen können. Außerdem zeigt Ihre Uhr ja genau an, wie lange Sie für die Fahrt gebraucht haben, und der Treibstoff im Tank ist ja auch nicht einfach so verdunstet. Aber Sie erinnern sich an nichts, was in diesen 40 Minuten tatsächlich geschehen ist.

Ich glaube jeder Mensch kennt dieses Phänomen in irgend einer Variation. Alle Indizien und indirekten Beobachtungen bezeugen, dass eine gewisse Zeitspanne vergangen ist, aber Sie haben das Vergehen dieser Zeit nicht wahrgenommen, oder aus irgend einem Grund die Erinnerung an die verstrichene Zeit verloren. Und nein, Sie hatten keinen Filmriss aufgrund unmäßigen Konsums berauschender Substanzen. Und nein, auch ein heftiger Schlag auf den Schädel als Auslöser der Amnesie scheidet aus.

Dieses Fehlen der wahrgenommen Zeit hat wahrscheinlich schon jeder von uns mehrfach bemerkt, und so blieb es nicht aus, dass es auch zum Gegenstand der Forschung wurde. »Zeitwahrnehmungsforschung« heißt dieses Spezialgebiet der Psychologie. Und die Forscher, die sich damit beschäftigen, haben auch viele plausible Erklärungen gefunden.

Aber wenn Psychologen etwas untersuchen, das sie für eine Besonderheit der menschlichen Wahrnehmung halten, dann können Sie gar nicht anders als eine Erklärung zu finden, die auf einer Besonderheit der menschlichen Wahrnehmung beruht. Mit den Hammer in der Hand sieht eben alles wie ein Nagel aus. Auf Erklärungen, die nichts mit der Art und Weise zu tun haben wie wir angeblich die Zeit wahrnehmen, können Zeitwahrnehmungsforscher aus systemimmanenten Gründen gar nicht kommen. Aber außer Ihnen untersucht niemand dieses Phänomen ernsthaft. An alternativen Erklärungen scheint erstaunlicherweise niemand Interesse zu haben.

Ich hingegen mache mir schon seit Jahren Gedanken über dieses Problem, bin aber bis vor kurzem leider ebenfalls kaum einen Schritt weiter gekommen als die mit akademischen Würden überhäuften Psychologen. Bis vor kurzem! Denn ich habe nun herausgefunden, was der wahre Grund dafür ist. Bevor ich ihn offenlegen kann muss ich aber, weil damit ein Zusammenhang besteht, vorher zu einem anderem Kuriosum des menschlichen Geistes kommen, über das öffentlich kaum gesprochen wird, das aber sicherlich auch jeder kennen wird:

Es geht um Ihre Träume. Ausnahmslos alle Menschen, mit denen ich darüber gesprochen habe, kennen das was ich gleich schildern werde, und alle haben es immer und immer wieder selbst erlebt. Daher werden auch Ihnen die nächsten Zeilen sehr vertraut erscheinen. Aber keiner meiner Gesprächspartner hat jemals darüber mit anderen Menschen gesprochen. Interessanterweise haben auch alle genau denselben Grund dafür angegeben: Sie hielten es für uninteressant und für so normal, dass sie es für Zeitverschwendung angesehen haben, darüber nachzudenken. Ich scheine bisher der einzige zu sein, der seit Jahren ergebnislos versucht hat eine rationale Erklärung für diesen höchst irritierenden Umstand zu finden.

Im Traum passieren sehr häufig Dinge, die für mich völlig überraschend sind. Zum Beispiel sackt im Traum gelegentlich der Boden unter meinen Füßen plötzlich weg, so dass ich beim Gehen stolpere und fast stürze. Meine Reaktion auf diese Überraschung ist manchmal so stark, dass dadurch auch jene Teile des Gehirns aktiviert werden, die im Schlaf eigentlich inaktiv bleiben sollten, und so passiert es, dass ich dann tatsächlich heftig mit den Beinen zucke, und manchmal von diesem Zucken sogar aufwache.

Im Traum tauchen hin und wieder auch völlig unerwartet fremde Menschen auf und packen mich plötzlich am Arm oder tun andere Dinge die ich vorher nicht kommen sah. Hunde, die gerade eben noch nicht da waren, stürmen laut bellend auf mich ein. Die Wand eines Hauses wird überraschenderweise plötzlich durchsichtig und verschwindet, und ich kann über eine Brücke, deren unvorhergesehenes Erscheinen ich zur Kenntnis nehmen muss, einen unbekannten Ort betreten, mit Wesen die ich nie zuvor gesehen habe, und die nichts und niemandem ähnlich sehen was ich je zuvor gesehen habe. Diese und andere Überraschungen kann man häufig in Träumen erleben.

Klingt das in irgend einer Weise vertraut für Sie? Ich meine nicht die gerade geschilderten konkreten Traum-Erlebnisse, sondern das Element der Überraschung als Teil eines Traumes an sich. Kennen Sie das? Überraschungen im Traum? Ja? Das kennen Sie? Aber sie finden das nicht irgendwie ungewöhnlich? Das ist eh normal denken Sie sich vermutlich. Nichts worüber nachzudenken wichtig wäre. Es sind ja nur Träume. Ist es nicht so?

Aber überlegen Sie mal, jetzt im Zustand der Wachheit: Sie liegen im Bett und träumen. Nur Sie träumen diesen einen speziellen Traum und niemand anders. Niemand außer Ihnen weiß in diesem Augenblick was Sie träumen, und vor allem hat gar niemand die Möglichkeit auf irgend eine Weise an Ihrem Traum Teil zu haben. Träumen ist also eine reine Ein-Personen-Aktion, an der nur Ihr eigenes Gehirn beteiligt ist. Es gibt keine zweite Person, die dazu etwas beiträgt. Richtig?

Bevor Sie weiterlesen ist es wirklich wichtig, dass Sie sich ganz und gar bewusst machen, dass jeder Ihrer Träume etwas ist, das nur Sie allein betrifft. Es passiert nur in Ihrem Kopf. Nirgendwo sonst. Lesen Sie nur weiter, wenn Ihnen das auch wirklich und wahrhaftig klar ist. Niemand außer Ihnen nimmt auf irgend eine Weise an diesem einen gerade stattfindenden Traum teil. Szenarien wie im Film Inception, wo sich mehrere Menschen denselben Traum teilen, sind in Wirklichkeit nicht möglich. Zumindest nicht mit den Mitteln, die uns Menschen derzeit zur Verfügung stehen.

Und trotzdem werden Sie im Traum überrascht.

Von wem? Wer überrascht Sie denn da? Wer schleicht sich da in Ihren Kopf während Sie friedlich schlafen? Wer fügt Ereignisse in Ihre Traum-Geschichten ein die Sie selbst nicht haben kommen sehen? Und wenn Sie im Traum mit anderen Personen sprechen: Wer spricht da mit Ihnen? Wer unterhält sich mit Ihnen, wenn Sie im Traum anderen Menschen zuhören? Sie selbst können das ja nicht sein, denn sich selbst wirklich und wahrhaftig zu überraschen halte ich für extrem schwierig. Ebenso ausgeschlossen ist es, dass Sie selbst sich das ausdenken, was ihnen die Gesprächspartner in ihren Träumen mitteilen. Sie erfahren das Gesagte ja erst aus dem Mund ihres erträumten Gegenübers.

Es passiert jede Nacht, und das mehrmals. Denn auch wenn Sie sich am Morgen nicht an alle Träume erinnern können, geträumt haben Sie sie dennoch.

Unheimlich, oder? Für noch unheimlicher halte ich aber die Tatsache, dass das bisher niemandem aufgefallen zu sein scheint. Vermutlich nicht einmal Ihnen.

Aber Sie werden Sich jetzt vermutlich fragen was das mit der verlorenen Zeit zu tun hat von der ich vorhin sprach. Das werde ich Ihnen gleich sagen, aber Sie werden es nicht glauben wollen, weil es so unglaublich ist. Es geschieht jeden Tag viele Milliarden Male direkt vor unseren Augen aber keiner von uns sieht es. Wir übersehen es, eben weil es uns ständig und unmittelbar umgibt.

Ich habe selbst die beiden Phänomene jahrelang getrennt behandelt und keinen Zusammenhang gesehen. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass sie zwei Seiten derselben Medaille sind. Nüchtern betrachtet sehen diese beiden Sonderbarkeiten vom Standpunkt der Informationsverarbeitung nämlich wie folgt aus:

Im Fall der verlorenen Zeit ist Ihr Gehirn eine Zeit lang beschäftigt, aber Sie wissen nicht womit. Ihnen erscheint es so, als hätte jemand eine gewisse Zeitspanne aus Ihrem Leben herausgeschnitten. Übrigens ist es immer eine Zeitspanne, in der nichts passiert, das wirklich wichtig für Ihr Leben ist. Aber ihr Gehirn war in dieser Zeit aktiv. In der Sprache der Informatik hat Ihr Gehirn Rechenleistung für irgend etwas erbracht das sich Ihrer Wahrnehmung entzieht. Ihre Denkleistung wurde ausgelagert!

Im Traum hingegen sind Sie der Akteur in einer Umgebung, die nicht Sie allein beeinflussen. Die Rechenleistung, die notwendig ist um die Umgebung zu erschaffen, und um Ihnen die anderen Akteure in ihrem Traum vorzuspielen, stammt ganz offensichtlich nicht von Ihnen selbst. Ihr Gehirn wäre ohne externe Ressourcen gar nicht in der Lage länger Träume mit komplexen Handlungen und überraschenden Wendungen zu träumen. Ihr Gehirn muss also während des Traumes auf fremde Denkleistungen zurückgreifen.

Die Lösung beider Rätsel ist ebenso einfach wie unglaublich: Während die einen Menschen dem Anschein nach Bücher lesen, mit dem Auto fahren oder fernsehen, ohne sich später daran erinnern zu können, liefern ihre Gehirne genau jene Leistungen, die notwendig sind, damit andere Menschen Träume mit überraschenden Wendungen erleben können.

Aber wie geht das? Und vor allem: Wer macht so etwas mit uns?

Nun, es sind Traumlenker, die dafür verantwortlich sind. Wenn wir in einen tranceartigen Zustand geraten, wie das beim Lesen, Autofahren und Fernsehen der Fall ist, öffnet sich unser Geist. Das wussten schon die alten Schamanen und Geistheiler. Und auch beim Träumen findet eine ähnliche Öffnung statt. Die Traumlenker führen nun die Gedanken aller Menschen, die sich gerade in einem solchen Zustand befinden, zu einem großen universellen Gedankenstrom zusammen und speisen damit die Träume der Schlafenden.

Die einen fügen dem Strom das zu was sie gerade lesen, sehen und hören, oder was sie sich gerade in ihrer Fantasie ausdenken. Und die anderen werden aus diesem Strom mit Ideen und Gedankenfragmenten versorgt, die sie im Traum als das wahrnehmen, was sie selbst nicht beeinflussen konnten.

So gelangt alles, was wir Menschen erleben und uns ausdenken auf subtile Weise, und so gut wie unbemerkt in die Köpfe anderer Menschen. Das geschieht, damit wertvolle Ideen nicht verloren gehen, denn auf diese Weise reisen diese Ideen und Gedanken so lange weiter, bis sie auf einen Menschen stoßen, der sie für wichtig genug hält um sie zu realisieren. Die Traumlenker bemerken das natürlich und versorgen diesen einen fruchtbaren Empfänger dann mit weiteren ähnlichen Ideen.

Sie glauben das nicht? Viele bedeutende Künstler haben Ihre wichtigsten Werke in erstaunlich kurzer Zeit geschaffen. Georg Friedrich Händel schrieb den Messias, ein Oratorium für großes Orchester von fast drei Stunden Dauer in nur drei Wochen nieder. Selbst für das händische Abschreiben des fertigen Werkes würde man kaum weniger Zeit benötigen. Händel hat das Werk aber in dieser kurzen Zeit nicht irgendwo abgeschrieben, sondern gleichsam aus dem Nichts erschaffen.

Das ist nur nachvollziehbar, wenn ihm die Ideen dazu wie im Traum zugeflogen sind. Haben Sie das schon mal gehört? »Es ist mir im Traum zugeflogen« Das haben Sie sicher schon gehört. Aber Sie haben sich nichts gedacht dabei. Von wo zugeflogen? Natürlich von anderen Menschen, die gerade irgendwo träge herumgedöst haben ohne sich später daran zu erinnern.

Der deutsche Chemiker August Kekulé berichtete davon, dass ihm die Strukturformel von Benzol im Traum erschienen ist, und auch andere Genies berichten immer wieder davon, dass Sie das Gefühl haben, ihre Werke hätten eine Eigendynamik und sich quasi selbst geschrieben. Der berühmte Horror-Autor Stephen King hat in mehreren Interviews berichtet, dass die Figuren in seinen Romanen in seinem Kopf manchmal ein so starkes Eigenleben entwickelten, dass er kaum in der Lage ist die ursprünglich geplante Handlung niederzuschrieben, sondern eine Geschichte schreibt, die ihm die Figuren diktieren.

Aber wir wissen nun, wer ihm seine Geschichten wirklich diktiert hat, wer Kekulé die Benzolformel gegeben hat, und wer Händels Messias diktiert hat. Das waren Menschen wie wir, die sich irgendwann nicht daran erinnern konnten was in den letzten zwei Stunden geschehen ist.

Achtung, Spam-Falle:

Jede E-Mail, die an die Adresse Daniel Honigtopf <daniel.honigtopf@schoelnast.at> zugestellt wird, wird als unerwünschte Nachricht eingestuft. Die E-Mails, die dort einlangen, werden von niemandem gelesen. Sie dienen ausschließlich dazu, mein Spamfilter-Programm zu trainieren und werden anschließend gelöscht.

Ich gehe nämlich davon aus, dass diese E-Mail-Adresse von E-Mail-Harvestern gefunden wird, die diese Adresse dann an Spam-Versender weitergeben. Es ist also damit zu rechnen, dass bei dieser Adresse Spam-Mails (unerwünschte Nachrichten) eingehen werden. Wenn ich nun aber davon ausgehen kann, dass alles was hier landet ganz sicher Spam ist (weil dorthin niemals normale Mails geschickt werden), dann hilft das meinem Spamfilter-Programm sehr. Dann weiß es nämlich, dass E-Mails mit ähnlichem Inhalt, oder vom selben Absender, auch dann als Spam anzusehen sind, wenn sie an eine meiner »echten« E-Mail-Adressen zugestellt werden. Der Spamfilter bewertet diese E-Mails dann nämlich ebenfalls als unerwünscht und löscht sie sofort anstatt sie irgend jemandem zuzustellen. Auf diese Weise bleiben nicht nur meine eigenen echten E-Mail Konten schön sauber, sondern auch die meiner Kunden.

Sende also niemals E-Mails an diese Adresse, und auch nicht an Julia Honigtopf <julia.honigtopf@schoelnast.at> oder an Tobias Honigtopf <tobias.honigtopf@schoelnast.at>, denn diese Adressen sind das, was man in der IT-Welt als honeypot (deutsch: Honigtopf) bezeichnet. Wenn du trotzdem etwas dorthin schickst, riskierst du, dass ich alle anderen E-Mails, die von dir kommen, auch dann nicht erhalte, wenn du sie an die richtige Adresse schickst.

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Hubert Schölnast
(Webmaster)

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