Hubert Schölnast
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Des Magiers plötzlicher Tod |
»Ich fand es unten am Strand.« Dabei setzte er ein breites und debiles Grinsen auf. »Für gewöhnlich stehe ich ja nicht so früh auf, schon gar nicht, wenn ich Urlaub habe. Aber heute war ich schon um halb fünf wach und konnte nicht mehr einschlafen. Keine Ahnung warum. Liegt vielleicht an den neuen Tabletten. Ich habe meine eigenen daheim vergessen, und der Apotheker hier in diesem Dorf hat mir andere gegeben. Angeblich sind sie gleich gut, aber ich trau dem nicht so ganz.« Dabei machte er eine wiegende Handbewegung. »Vielleicht war aber auch das Bett zu weich. Kann das sein, dass man früher aufwacht wenn das Bett zu weich ist? Jedenfalls bin ich nach einer Weile aufgestanden und auf den Balkon hinausgegangen. Ich sah dann, dass die Sonne bald aufgehen würde, und da habe ich beschlossen, zum Strand runter zu gehen um den Sonnenaufgang zu fotografieren. Ich habe zwar schon viele Sonnenuntergänge fotografiert, aber noch nie einen So...«
»Sie waren also am Strand. Waren Sie allein?«
»Ähm. Ja. - Ja.« Sein Blick schweifte im Raum umher. »Oder nicht? Nein doch, ich glaub schon. Gesehen habe ich jedenfalls niemanden. Nein. Niemand. Wieso? Weil mich niemand gesehen hat? Fragen sie deswegen? Das kann nämlich gut sein, dass mich niemand gesehen hat. Obwohl vielleicht jemand da war, das kann schon sein. Ich bin nämlich so zwischen den Sonnenschirmen ...«
»Gut, gut.« Der Inspektor blickte zum Fenster und schien in Gedanken weit weg zu sein. Dann fing er an, langsam mit den Fingern auf die Tischplatte zu klopfen. »Ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen, als sie zum Strand gingen?«
»Nein. Nein. Gar nichts. Auf dem Weg zum Strand nicht, und am Strand selber auch nicht. Gar nichts. Nur dieses Ding ist da einfach so am Strand gelegen. Aber sonst: Rein gar nichts. Nur der Sand war eiskalt. Ja, das ist mir aufgefallen: Der Sand war echt eiskalt.«
»Sie gingen barfuss zum Strand?«
»Ja. - Ja! Oder? Ja sicher, sonst hätte ich ja nicht bemerkt, wie kalt der Sand war. Ich bin ja hierher gefahren, weil es hier diesen schönen Strand gibt, und weil der Sand hier so warm ist. Na ja, heute Morgen war er nicht so ...«
»Mann! Quasseln Sie immer so viel?« Aus dem Klopfen der Finger war mittlerweile schon ein Hämmern geworden. Der Inspektor war müde, denn sein Dienst hatte schon gestern Abend begonnen. Kopfschmerzen hatte er auch. Seit vierzehn Stunden saß er schon hier in der Wachstube und war seitdem noch keine einzige Minute draußen gewesen. Dieser Idiot war einfach so hereinspaziert, hat dieses Ding hochgehalten und wollte auf der Stelle seinen Finderlohn dafür haben.
»Ich hab das ganz allein gefunden, unten am Strand. Ich habe es nicht gestohlen, ehrlich nicht! Es lag einfach so mutterseelenallein auf dem Sand, und da habe ich mir gedacht wenn es so allein daliegt stiehlt es vielleicht noch jemand, und da habe ich ...«
»Klappe!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und sah den Touristen scharf an.
Der kleine Mann presste die Lippen aufeinander und sein Kinn begann leise zu zittern. Er hatte es nicht verdient, so behandelt zu werden. Nein, das hatte er sicher nicht. Wenn man etwas findet, bekommt man einen Finderlohn. Das weiß jeder. Stattdessen wird man hier angeschrieen! Aber nicht mit mir. Er wird schon sehen was er davon hat, wenn er so weiter macht. Ja, das wird er!
Der Inspektor stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Es war kurz vor sieben Uhr morgens. Er sah die Maschine eine Weile lang an, und ging dann, ohne sich einen Kaffee zu nehmen, zum Fenster. Draußen war herrliches Wetter, aber das Fenster ging nach Westen, und von hier aus hätte er die Sonne erst am Abend sehen können. Aber dazu sollte es nicht mehr kommen. Er sah bloß die blasse volle Mondscheibe am blitzblauen Himmel stehen. Vorgestern war Vollmond gewesen. Der Mond stand genau über dem Kirchturm, die Turmspitze berührte ihn gerade.
Er konnte es sich selbst nicht erklären, aber er hatte das Gefühl, als würde heute noch etwas sehr wichtiges passieren. Etwas, das ihm vermutlich ganz und gar nicht gefallen würde. Und es hängt irgendwie mit diesem Idioten hier zusammen. Schon allein wegen dieses sonderbaren Gefühls der Vorahnung war er sehr motiviert herauszufinden, was es mit diesem Gegenstand auf sich hatte, der hier auf dem Tisch lag. Er sah aus wie die Karikatur eines Zepters. Ein runder, mit farblosem Lack überzogener Metallstab, an dessen einem Ende eine grüne Glaskugel aufgeklebt war. Die Kugel hätte viel besser auf einen Weihnachtsbaum gepasst. Wahrscheinlich war es tatsächlich eine Christbaumkugel.
An irgendetwas erinnerte ihn dieser Stab, er konnte aber nicht sagen woran. Vorahnungen! Manchmal hasste er sie, wenn sie noch so nebulos waren wie jetzt.
Der Tourist schwieg und folgte dem Inspektor mit den Augen. Er warf ihm böse Blicke zu. Er wollte sich ja gar nicht alles behalten. Für den komischen Stab hatte er keine Verwendung, daher wollte er wenigsten einen Finderlohn dafür. Er fand, dass ihm das auf jeden Fall zustünde. Er lag doch einfach so da, und jeder hätte ihn nehmen können. Na gut, das mit dem Strand war gelogen, aber es hat ihn niemand gehindert den Stab zu nehmen, also war es nicht gestohlen. Zumindest beim Stab hat ihn niemand gehindert. Als er heute Morgen am Strand war, kam ihm die Idee, zu behaupten, er hätte ihn dort gefunden. Denn auf diese Weise ließe sich sicher ein Finderlohn rausschlagen. Das mit dem Strand war sicher viel unverfänglicher.
Die Münze, die er ebenfalls »gefunden« hatte, wollte er behalten. Sie war sehr schön und vor allem sehr groß. Als er an sie dachte, huschte eine Spur eines Lächelns über sein Gesicht. Es ließ seine Hand in seine Hosentasche gleiten, um sie zu spüren. Sie fühlte sich angenehm kühl und schwer an. Es war jetzt seine Münze. Ganz allein seine.
»Was haben Sie da in der Tasche?«
»Nichts« Mit einem Schlag war der Anflug eines Lächelns wieder misstrauischem Zorn gewichen. »Nur Kleingeld.«
»Legen Sie es auf den Tisch!«
»Nein! Wieso? Es gehört mir!«
»Los, los. Sie haben da etwas in der Tasche, das Ihnen nicht gehört! Legen Sie es auf den Tisch!« Instinkte sind in diesem Beruf schon die halbe Miete, und der Inspektor war stolz auf seine Instinkte. Vorahnungen und Instinkte - in beiden war er unschlagbar. An manchen Tagen gestattete er sich den Traum, als Magier aufzutreten. Jemand aus dem Publikum müsste eine Karte ziehen, und er würde dieser Person dann der Reihe nach alle Karten vorlegen, und er könnte dann allein aus der Reaktion dieser Person erkennen, welche Karte die richtige war. Niemand sonst könnte dieses Kunststück vollführen, nur er, der große Magier. Niemand sonst kann so gut in Gesichtern lesen und Gesten deuten wie er.
Der Tourist legte die Münze auf den Tisch. Sie war fast handtellergroß und hatte eine überaus penetrant goldene Farbe.
»Kleingeld hä? Haben sie die auch am Strand gefunden?« Der Inspektor nahm sie in die Hand. Vermutlich Gusseisen, mit Goldlack überzogen.
»Die gehört mir!«
»Ja, sicher. Da wollen wir doch mal sehen, was Ihnen noch so alles gehört. Was haben Sie denn in diesem Sack da?« Der Inspektor deutete auf die Umhängetasche des Touristen. »Ausleeren! Alles hier auf den Tisch! Aber dalli!«
Wenn Blicke töten könnten, wäre der Inspektor jetzt auf der Stelle tot umgefallen. Der Tourist hielt zuerst seine Umhängetasche mit beiden Händen fest, knallte sie dann aber so fest auf den Tisch, dass der dabei entstehende Luftzug gleich mehrere Seiten der Zeitung umblätterte, die dort auf dem Tisch lag. Er griff in seine Umhängetasche und zog einen Metallbecher hervor. Den knallte er ebenso heftig und wortlos auf den Tisch wie zuvor seine Tasche. Der Becher war aus Metall, hatte einen Fuß und sah aus wie...
»Ein Kelch!« rief der Inspektor erstaunt. Der Mund blieb ihm offen. Irgendetwas setzte dieser Kelch in seinem Gehirn in Gang. Eine Idee, ein Bild formte sich, noch knapp unter Schwelle zur bewussten Wahrnehmung und begann dort langsam vor sich hin zu brodeln. Ein Zepter, eine Münze und ein Becher. Zu ihm gebracht von diesem Narren. Das hatte irgendetwas zu bedeuten.
Er ging wieder zum Fenster und beobachtete die Leute, die über den Platz gingen. Ganz dicht unter der Grenze zu seinem Bewusstsein keimten düstere Ahnungen. Den Idioten, der hinter seinem Rücken umständlich in seinem Sack herumkramte, beachtete er nicht weiter. Er sah hinunter auf den Platz, und sah dort den Pfarrer. Direkt hinter ihm, kaum zwei Meter entfernt, ging eine hinkende Punkerin mit feuerroten Haaren. Etwas weiter links saß ein Händchen haltendes Pärchen auf einer Bank.
Der Kelch war ebenso wertloser Plunder wie die Münze und das Zepter. Was soll das alles? Wie passt das zusammen? Was stimmt nicht mit diesem Kerl?
Ein Auto hielt direkt vor dem Paar. Die beiden stiegen ein und fuhren davon. Dann blickte er wieder zum Kirchturm und sah darüber ganz blass, fast unsichtbar den Mond am strahlen blauen Himmel stehen.
Das alles fühlte sich für ihn plötzlich sehr befremdlich und bedrohlich an. Ihm wurde heiß. Er drehte sich um, und sein Blick fiel auf die jetzt aufgeschlagene Tageszeitung. Sie lag neben den drei Gegenständen, die der (Narr) Tourist bei sich hatte. Die fette Überschrift eines Zeitungsberichts zogen seinen Blick auf sich: »Goldschwert gestohlen«. Mit neugierigem Blick griff er nach der Zeitung und nahm sie zur Hand. Der Tourist murmelte zischende Worte vor sich hin und kramte noch immer in seiner Tasche herum. Unter der Schlagzeile stand:
»Ein offenbar verwirrter Mann entwendete gestern Nachmittag aus dem Spielkarten-Museum am Neuen Platz zahlreiche Exponate aus der Tarot-Ausstellung (wir berichteten am Freitag von der Eröffnung). Dabei wurden neben einigen Dekorationsgegenständen zwei wertvolle Tarot-Kartendecks aus dem 18. Jahrhundert sowie ein reich verziertes Kurzschwert mit vergoldeter Klinge entwendet. Obwohl er von zahlreichen Besuchern dabei beobachtet wurde, gelang es dem Täter, unerkannt zu entkommen...«
Er starrte weiter in die Zeitung, aber die Worte verschwammen vor seinen Augen. Sekundenlang hatte er das Gefühl, keinen einzigen Gedanken denken zu können, und dann, mit einem Schlag passte plötzlich alles zusammen. Die Worte der Prophezeiung, die er schon lange vergessen hatte, brachen plötzlich aus seinem Inneren hervor und verdrängten alles andere, woran er gerade gedacht hatte. Laut und deutlich hörte er wieder die Worte der Zigeunerin, und er sah ihr Gesicht vor sich. Plötzlich bekamen ihre nun schon Jahrzehnte alten Worte, die sie beim Aufdecken der Karten sprach, einen Sinn:
»Es kommt ein Tag der Sonne, doch du siehst nur den Mond. Er leuchtet vom Turm herab auf den Teufel, der nach dem Hohepriester kommt, und der Wagen wird die Liebenden verschlingen. Und wenn dann endlich Stab, Kelch, Schwert und Münze auf dem Tisch des Magiers zusammenfinden, wird der Narr zum Tod.«
Das ist es: Sonne, Mond und Turm, das ist leicht zu verstehen. Das waren die Karten, die sie als erstes aufgedeckt hatte. Dann kamen Hohepriester und Teufel - Der Pfarrer und die Punkerin. Die nächsten Karten waren die Liebenden und der Wagen. Ja, genau. Er hat gesehen wie das Liebespaar in einem Wagen stieg. Kein Zweifel.
Dann kam die Karte, die ihn symbolisieren sollte: Die Zigeunerin drehte sie um, und es war der Magier. Auf der Karte war ein Mann an einem Tisch zu sehen, auf dem vier Gegenstände lagen, die für die vier Kartenfarben des Tarot standen: Ein Kelch, ein Stab, eine Münze und ein Schwert. Und die Asse dieser vier »Farben« umringten den Magier. Auf den Magier legte die Zigeunerin die Karte mit dem Narren, nahm sie dann aber wieder weg und legte stattdessen den Tod auf den Magier.
Alles aus der Prophezeiung ist heute eingetreten. Alle Kartenmotive hatte er heute im wirklichen Leben gesehen. Alle bis auf eines: Das Ass der Schwerter.
Kalter Schweiß rann dem Inspektor den Rücken hinunter.
Als er die Zeitung auf seinen Tisch fallen ließ, genau auf das Diebsgut, rammte ihm der Tourist einen wunderbar verzierten goldglänzenden Dolch mit edelsteinverziertem Griff tief in die Brust.
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